Bonner Erklärung: "Provisionsberatung auf dem Prüfstand – ist die Altersvorsorge gefährdet?“
Die Vorsitzenden der Vertretervereinigungen der deutschen Versicherungsunternehmen, das Präsidium des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) sowie die Vorstände des Arbeitskreises Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz e.V. (AVV), die zusammen mehr als 40.000 Versicherungsvermittler in Deutschland repräsentieren und damit die weitaus größte Interessenvertretung der Versicherungs- und Bausparkaufleute in Deutschland und Europa sind, verabschiedeten in Bonn die nachstehenden Positionen.
1. Debatten um Provisionsbegrenzung
„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ lautet das Zwischenfazit der schwelenden Debatte um eine Begrenzung von Provisionen. Nachdem im letzten Jahr die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf nationaler Ebene sogenannte Provisionsrichtwerte vorgeschlagen hatte, stand plötzlich im Rahmen des Entwurfs der EU-Kleinanlegerstrategie zum Jahresbeginn ein generelles Provisionsverbot auf EU-Ebene im Raum. Durch intensive Interessenvertretung in Brüssel ist es gelungen, EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness u. a. - mit Ausnahme des reinen Ausführungsgeschäfts („execution only“) - zu einer weitgehenden Abkehr von diesen Plänen zu bewegen. Die Kommissarin hat jedoch klargemacht, dass die Pläne nach einer dreijährigen Bewährungsprobe erneut zur Prüfung auf den Tisch kommen werden.
Weiterhin bestehen im Markt Unsicherheiten hinsichtlich eines Provisionsverbots. Dies betrifft einerseits Makler im Bereich der „unabhängigen Beratung“, andererseits aber auch Exklusivvermittler im Bereich „Best interest of clients“ und die Auswahl ihrer Produkte. Der BVK wird sich im anstehenden Trilogverfahren für eine weitere Klarstellung einsetzen.
Versicherer und Vertriebe sind nun gefragt, das Thema einzelner überhöhter Vergütungen anzugehen und weiterhin eine auskömmliche Vergütung der Vermittler zu ermöglichen. Die Vermittler appellieren an die Branche, Incentives und Bonifikationen zugunsten einer auskömmlichen laufenden Vergütung umzustellen und die Bewährungsprobe der EU ernst zu nehmen. Der Weckruf aus Brüssel muss von allen Beteiligten vernommen werden!
2. Provisionsberatung auf dem Prüfstand
Die Vermittler betonen, dass in Deutschland nach § 48a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) Fehlanreize und Interessenkonflikte im Vertrieb zu vermeiden oder zu beseitigen sind. Diese liegen aus Sicht der Vermittler nicht vor. Daher fordern sie weiterhin einer gesetzlichen Deckelung von Provisionen oder einem generellen Verbot eine klare Absage zu erteilen.
Eingriffe in die Vergütungen der Versicherungsvermittler werden weiterhin generell abgelehnt. Sie widersprechen der marktwirtschaftlichen Ordnung und sind deshalb unangebracht. Der BVK hat zudem in der Vergangenheit in mehreren Stellungnahmen bei der Debatte um einen Provisionsdeckel darauf hingewiesen, dass die Begrenzung von Provisionen sich nur marginal und vernachlässigbar auf die Rendite von Lebensversicherungen auswirken würde.
Auch Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass ein Verbot der Provisionsberatung zu einem Rückgang bei der Beratungsnachfrage einkommensschwacher Bevölkerungsschichten geführt hat und daher verbraucherfeindlich ist.
Eine qualifizierte Altersvorsorgeberatung ist jedoch angesichts drohender Altersarmut existentiell wichtig. Die Vermittler müssen für die Beratung bei der Erfüllung ihres wichtigen sozialpolitischen Auftrags weiterhin adäquat entlohnt werden. Der BVK hat sich stets für ein Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung ausgesprochen.
Die Versicherer sollten daher in Einzelfällen proaktiv gegen vereinzelte überhöhte Vergütungsstrukturen vorgehen und trotzdem eine auskömmliche Vergütung der Vermittler gewährleisten.
Die Vermittler fordern, stärker qualitative Elemente bei der Vertriebsvergütung zu berücksichtigen, wie die Kundenzufriedenheit und die Weiterempfehlungsquote von Vermittlern. Auch sollten Zusatzvergütungen nicht allein an das Erreichen bestimmter quantitativer Ziele geknüpft werden.
Auch eine stärkere Verteilung der Provision auf die Laufzeit wäre aus Sicht der Vermittler eine Alternative, um mit einer auskömmlichen Vergütung ihren sozialpolitischen Auftrag in hoher Qualität dauerhaft erfüllen zu können.
3. Kein Vertrieb ohne Beratung
Private Altersvorsorge ist beratungsintensiv und eine langfristige Entscheidung und sollte daher nicht ohne Beratung abgeschlossen werden. Wir begrüßen die Untersuchung der BaFin, die Missstände einiger Versicherer beim Onlinevertrieb untersucht hat. So hielten sich Versicherer nicht immer an die gesetzlichen Vorgaben. Einzelne Versicherer gaben an, dass ein Online-Abschluss nur möglich sei, wenn Kunden auf eine Beratung verzichteten. Den Verbrauchern wurde dann die gesetzlich erforderliche Beratung versagt bzw. sie wurden zum Beratungsverzicht verleitet, wenn sie dennoch online den Vertrag abschlossen.
Die Vermittler fordern daher weiterhin keinen Vertrieb ohne Beratung, da dies nicht im Sinne des Verbraucherschutzes ist. Die qualifizierte Beratung der Vermittler ist gerade bei der wichtigen privaten Altersvorsorge auch weiterhin wichtiger denn je.
4. Reform der privaten Altersvorsorge
Die Vermittler begrüßen grundsätzlich das Vorhaben der Bundesregierung, die private Altersvorsorge zu reformieren. Nach jahrelangem politischem Stillstand hat nun die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) eingesetzte Fokusgruppe private Altersvorsorge im Sommer 2023 Vorschläge vorgelegt.
Die Vermittler haben maßgeblich zur Verbreitung von bisher 16 Millionen Riester-Renten-Verträgen beigetragen. Daher hätten sie erwartet, ihre Expertise und Reformvorschläge direkt in der Fokusgruppe darlegen zu können. Dabei hätte stärker die Bedeutung von Garantien und des Langlebigkeitsrisikos thematisiert werden können. Es wird begrüßt, dass zumindest einige der eingebrachten Vorschläge Berücksichtigung gefunden haben. Leider hat der GDV die Interessen der Vermittler nicht hinreichend vertreten.
Begrüßenswert ist die Beibehaltung des 3-Schichten-Modells und der Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge sowie eine stärkere Flexibilisierung in der Auszahlungsphase. Zudem wird die Abkehr von der Idee eines Staatsfonds außerordentlich begrüßt.
Skeptisch beurteilen wir die Pläne, die Altersvorsorge über sogenannte Altersvorsorgedepots den volatilen Kapitalmärkten zu überlassen. Denn Renten und Mindestgarantien sind für die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos bei der Altersvorsorge für die Planbarkeit der Bürger enorm wichtig. Offenbar ist es der Versicherungswirtschaft innerhalb der Fokusgruppe nicht gelungen, dies ausreichend zu verdeutlichen.
Die Vermittler fordern, dass nun alle Riester-Sparer endlich Klarheit erhalten, wie es genau weitergeht. Denn über kaum eine andere Vorsorgeform wurde in den letzten Jahren derart viel diskutiert. Daher fordern wir, die Reformvorhaben zügig umzusetzen. So sind Garantieabsenkungen in der Ansparphase längst überfällig sowie eine Einbeziehung der Selbstständigen sinnvoll.
5. Fazit
Die Versicherungsvermittler lehnen eine Beschränkung sowie ein Verbot von Provisionen weiterhin generell ab. Die Versicherer sollten nun in Einzelfällen proaktiv gegen vereinzelte überhöhte Vergütungsstrukturen vorgehen, und trotzdem eine auskömmliche Vergütung der Vermittler gewährleisten. Die Bewährungsprobe der EU sollte von der Branche genutzt werden, um die Vergütungsstrukturen anzupassen.
Die Vermittler begrüßen generell eine zügige Reform der privaten Altersvorsorge und werden die anstehenden Reformen weiterhin konstruktiv begleiten. Altersvorsorgeberatung durch Vermittler ist wichtig und kann nicht durch Onlinevertrieb ersetzt werden. Die Vermittler erfüllen einen wichtigen sozialpolitischen Auftrag bei der Beratung und Verbreitung der privaten Altersvorsorge und sollten daher weiterhin eng in den weiteren Prozess eingebunden und bei der Reform entsprechend berücksichtigt werden.
Bonn, den 28.09.2023