Bonner Erklärung 2011: „Für ein Versicherungsvermittlerrecht für alle Versicherungsvermittler“
Verbraucherschutz heißt Qualifikation der Versicherungsvermittler und Qualität der Versicherungsvermittlung sichern und ausweiten
Positionen der deutschen Versicherungsvertreter für eine Revision der EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung
Die Vorsitzenden der Vertretervereinigungen der deutschen Versicherungsunternehmen, das Präsidium des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) sowie der Arbeitskreis Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz e.V. (AVV), die zusammen rund 40.000 Versicherungsvermittler in Deutschland vertreten und damit die weitaus größte Interessenvertretung der Versicherungs- und Bausparkaufleute in Deutschland und Europa sind, verabschiedeten am 27. September 2011 in Bonn die nachstehenden Positionen zu der von der Europäischen Kommission geplanten Revision der EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung.
1. Das deutsche Versicherungsvermittlerrecht hat sich bewährt, muss jedoch auf alle Vertriebswege angewendet werden
Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19. Dezember 2006 wurden die wesentlichen Ziele der EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung (IMD) zum Schutz der Verbraucher erreicht, nämlich:
• Die Festlegung einer notwendigen Qualifikation für Versicherungsvermittler durch Absolvierung der Sachkundeprüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK), die auf einer Ausbildung zum Versicherungsfachmann bzw. Versicherungsfachfrau nach dem Modell des Berufsbildungswerkes der Deutschen Versicherungswirtschaft gründet.
- Die Schaffung eines für den Kunden einsehbaren zentralen Versicherungsvermittlerregisters.
- Die Pflicht des Vermittlers zum Nachweis einer eigenen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung oder Übernahme der uneingeschränkten Haftung durch ein Versicherungsunternehmen.
- Die Festschreibung umfangreicher Informations- und Beratungspflichten des Versicherungsvermittlers gegenüber dem Kunden.
Weder die EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung noch die Vorschriften des deutschen Versicherungsvermittlerrechts gelten aber für alle, die Versicherungen vermitteln. Auch kann der Verbraucher aus dem Versicherungsvermittlerregister nicht erkennen, welcher Vermittler über welche Qualifikation verfügt. Die deutschen Versicherungsvertreter begrüßen daher die Absicht der Europäischen Kommission, die EU-Richtlinie dort angemessen zu novellieren, wo es um den Schutz und das Vertrauen des Verbrauchers geht, ohne dass neue bürokratische Hemmnisse geschaffen werden.
2. Eine Neufassung der EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung muss für alle Versicherungsvermittler und alle Vertriebsarten gelten
Ausnahmen im deutschen Versicherungsvermittlerrecht dürfen nicht weiterhin zur Regel werden
Eine Revision der Richtlinie über Versicherungsvermittlung muss sicherstellen, dass alle, die gewerblich Versicherungen vermitteln, über eine gleiche Qualifikation verfügen, auf die der Verbraucher vertrauen können muss. Dass, wie in Deutschland von 263.452 registrierten Versicherungsvermittlern 176.747 Einfirmenvertreter weder eine Ausbildung noch eine Sachkundeprüfung vor der Industrie- und Handelskammer nachweisen bzw. ablegen haben müssen und damit die hohen Anforderungen an die Qualifikation der Vermittler eher zur Ausnahme denn zur Regel werden, ist nur übergangsweise für die Vergangenheit zu rechtfertigen.
In Übereinstimmung der Deutschen Versicherungswirtschaft mit den Versicherungsvermittlern sollte jeder Versicherungsvertreter zumindest die Qualifikation zum Versicherungsfachmann bzw. zur Versicherungsfachfrau erlangt und mit der Abschlussprüfung beendet haben, die vor der IHK abzulegen ist. Nach § 80 Abs. 2 VAG müssen auch die durch ein Versicherungsunternehmen registrierten Versicherungsvertreter über eine angemessene Qualifikation verfügen, die der der Vermittler nach § 34 Abs. 1 GewO entspricht. Es muss erreicht werden, dass ein „real level playing field“ für alle Akteure besteht, die mit der Vermittlung von Versicherungsprodukten beschäftigt sind.
Auch muss die Revision der Richtlinie über Versicherungsvermittlung sicher stellen, dass die Beratungs- und Informationspflichten des Versicherungsvermittlers auch für den Direktvertrieb gelten.
3. Keine Erlaubnisbefreiung für Angestellte in Banken und Versicherungen
Sicherung der Qualität der Beratung und Qualifikation des Vermittlers darf nicht Halt machen vor Banken und Versicherungen
Die deutschen Versicherungsvertreter treten dafür ein, dass der Anwendungsbereich der zukünftigen EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung auch auf all diejenigen ausgeweitet wird, die am „point of sale“ oder am „point of advice“ Versicherungsprodukte vermitteln, auch dann, wenn der Vermittler als Angestellter eines Versicherungsunternehmens, einer Bank oder Vermittlerbetriebs tätig wird, und erst recht dann, wenn die Versicherungsvermittlung nicht im Hauptberuf des Vermittlers ausgeübt wird.
Es hat sich gezeigt, dass gerade in Banken die Beratungsqualität bei Versicherungsprodukten nicht dadurch gewährleistet werden kann, dass selbst in größeren Niederlassungen nur ein Mitarbeiter oder gar keiner die Anforderungen des Gesetzes erfüllt. Die Anwendung der Richtlinie sollte daher auch auf Angestellte anderer Unternehmensformen ausgedehnt werden. Es hat sich als richtig erwiesen, dass die IMD 1 eine tätigkeitsbezogene Richtlinie ist, die die Anforderungen an die Berufsaufnahme und Berufsausübung der Versicherungsvermittler umschreibt. Ein produktbezogenes Anforderungsprofil sollte daher unbedingt vermieden werden.
4. Anforderungen an Kenntnisse und Befähigungen sind in Deutschland vorbildlich
Eine europäische Harmonisierung bedarf keiner Anforderungssteigerungen in Deutschland
Die Anforderungen an die Kenntnisse und Befähigungen des Versicherungsvermittlers werden in Artikel 4 Abs. 1 IMD nicht festgelegt, vielmehr können diese von den Mitgliedstaaten selbst bestimmt werden.
Der BVK hält hier eine Harmonisierung der Sachkundeprüfungen in den einzelnen Mitgliedstaaten für erforderlich, die einen Prüfungs- und Registrierungstourismus ausschließt und zu einer möglichen Gleichbehandlung beiträgt. In Deutschland hat sich gezeigt, dass die Anforderungen der Versicherungsvermittlerverordnung an Ausbildung und Sachkundeprüfung bereits einen hohen Qualitätsstandard erreicht haben, der nicht durch eine detaillierte Regelung in einer zukünftigen IMD 2 überschritten werden sollte. Keineswegs sollte die Verpflichtung zur Fort- und Weiterbildung der Versicherungsvermittler in der zukünftigen IMD 2 festgeschrieben werden. Durch die Beratungs- und Informationspflichten des Vermittlers, die bereits im deutschen Gesetz festgeschrieben sind, ist eine sachgerechte Beratung des Kunden gewährleistet.
5. Internetvermittlung – kein rechtsfreier Raum
Qualitätsanforderungen müssen VVG-Normen erfüllen
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Versicherungsprodukte zunehmend über das Internet, und zwar sowohl durch Versicherungsunternehmen als auch durch vermittelnde Unternehmen, wie etwa Lebensmitteldiscounter, am Markt angeboten werden. Die deutschen Versicherungsvertreter halten es aus Gründen des Verbraucherschutzes für richtig, dass die zukünftige geänderte Richtlinie über Versicherungsvermittlung auch Beratungs- und Informationspflichten für Internetanbieter aufnimmt, unabhängig von der Art des Anbieters.
6. Volle Transparenz ja, Offenlegung von Provisionen und Courtagen nein
Offenlegung von Abschlusskosten ist kundenorientierter
Die Europäische Kommission traf gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie dem Ausschuss der Region in einem Abschlussbericht über die Untersuchung der Unternehmensversicherungen (sogenannte Sektorenuntersuchung) die Feststellung, dass Interessenkonflikte und mangelnde Offenlegung der von den Vermittlern erhaltenen Vergütung Probleme für das Funktionieren des Marktes aufwerfen und in bestimmten Fällen zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs sowie zu höheren Preisen führen könnten.
Aufgrund dieser Feststellung beabsichtigt die Kommission, mit der Revision der EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung die Offenlegung der Provisionen und Courtagen auf Kundenwunsch festzuschreiben, wobei der Vermittler den Kunden auf dieses Informationsrecht hinweisen müsse (sogen. „soft-disclosure“).
Die deutschen Versicherungsvertreter treten für eine Kostentransparenz bei Versicherungsverträgen ein, die es dem Kunden ermöglicht zu erkennen, in welcher Höhe sein eingezahltes Kapital in die Anlage fließt, bzw. die Abschlusskosten abdeckt. Mit der VVG-Informationspflichtenverordnung vom 18.12.2007 wurden die Versicherer in Deutschland verpflichtet, bei der privaten Krankenversicherung, der Lebensversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Unfallversicherung die in der Prämie einkalkulierten Abschlusskosten in einer Summe in Euro und Cent auszuweisen. Die deutschen Versicherungsvertreter halten diese festgeschriebene Verpflichtung zur Offenlegung der Abschlusskosten für ausreichend und lehnen eine weitere Offenlegung von Provisionen und Courtagen ab, zumal für Einfirmenvertreter mangels alternativer Produkte eine provisionsorientierte Beratung und Vermittlung schon ausscheidet.
Die Offenlegung der Höhe der Abschlusskosten ist auch schon deswegen für den Kunden informativer und damit entscheidungserheblich, weil sie im Gegensatz zur Provision die Gesamtkosten des Abschlusses eines Versicherungsvertrages widerspiegelt. Aus Gründen der Vertriebssteuerung sind aber die Vermittlungsprovisionen oftmals von Vermittler zu Vermittler bei gleicher Versicherungsleistung unterschiedlich, ohne dass die Abschlusskosten sich verändern.
Die deutschen Versicherungsvertreter treten auf europäischer Ebene dafür ein, dass das Recht des Kunden auf Kostentransparenz in der IMD 2 festgeschrieben wird. Den Mitgliedstaaten soll es aber freigestellt bleiben, Bestimmungen, wie eine Kostentransparenz erreicht wird, in eigener Verantwortung gesetzlich zu regeln.
7. Register muss dem Verbraucher ausreichende Informationen zur Verfügung stellen
Das Versicherungsvermittlerregister darf den Kunden nicht weiter auf Paragrafen verweisen, sondern muss konkret auf Schranken der Qualifikationen hinweisen
Die EU-Richtlinie über Versicherungsvermittlung regelt nicht, welche Informationen für den Verbraucher aus dem Vermittlerregister ablesbar sein müssen. Eine Neufassung der Richtlinie sollte daher zum Verbraucherschutz Hinweise enthalten, wenn ein registrierter Vermittler nur über eine eingeschränkte Qualifikation verfügt, die sich lediglich auf eine eingeschränkte Produktauswahl bezieht.
8. Keine europaweite Festlegung der Vermittlungsvergütung
Offene Verlagerung der Provisionslast auf Kunden verbessert keinen Verbraucherschutz
Die Versicherungsvermittlung gehört zu den ältesten Gewerben in Europa und gestaltet sich in einer freien sozialen Marktwirtschaft durch die Vertragsfreiheit auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage. Die Festlegung der Provisionen durch staatliche Provisionsordnungen und Vergütungssysteme wie „Netto-Tarife“ lehnen die deutschen Versicherungsvertreter ebenso ab wie obligatorische und staatlich geförderte „Honorarberatungen“.
Bonn, 27.09.2011